Nachkriegsjahre

Dorfpolizist „Hummel“ überbrachte ihr die Nachricht persönlich. In den Wirren der Nachkriegszeit auch für ihn ein schwerer Gang.

„Tut mir sehr leid, Frau Engel. Das ist jetzt die dritte Anzeige. Die anderen beiden habe ich einfach unter den Tisch fallen lassen. Aber jetzt darf und kann ich es nicht mehr tun.“

Meine Großmutter stand kreidebleich in der Türe, klammerte sich mit zittrigen Händen daran fest, den Tränen nahe. Wie sollte sie diese hohe Geldstrafe bezahlen mit ihrem kleinen Verdienst als Küchenhilfe im Fliegerhorst Fürstenfeldbruck. Ihre Lage war äußerst angespannt. Nur am Rande vermerkt: Der Fliegerhorst, in Fursty unbenannt, wurde nach dem 29. April 1945 von den Amerikanern besetzt, von der US-Luftwaffe als Einsatzflughafen genutzt und bot ab 1946 über 1400 Zivilpersonen einen Arbeitsplatz. Meine Oma, Jahrgang 1909, war eine davon.

Erschwerend zur Gesamtsituation waren da noch ihre zwei Kinder, die sie als Kriegswitwe und Vertriebene aus dem Sudetenland alleine zu versorgen hatte, nachdem ihr Mann in Stalingrad als vermisst galt. Die Anzeige war somit für sie fatal und bedeutete noch mehr Entbehrungen, noch mehr Einschränkungen und noch mehr Schufterei neben der Arbeit. Tagein, tagaus schälte meine Großmutter im Keller der Kantinenküche Kartoffeln für die Amerikaner, bis sich ihre Fingernägel durch das Hantieren mit kaltem Wasser langsam auflösten.

Sie wurde von ihren Vorgesetzten geschätzt und durfte sich offiziell Essen, das übrig war, mit nach Hause nehmen, wie Donuts und Corned Beef in Dosen, was für sie, die 15 jährige Tochter und den 9 jährigen Sohn ein Glück war. Dennoch brauchte sie zusätzliche Einnahmequellen, um sich über Wasser zu halten. Durch ihre Kontakte im Fliegerhorst bekam sie schließlich von amerikanischen Soldaten den Auftrag, ihre Militärkleidung privat zu waschen, auch wenn es ihr viel Mühe und Kraft abverlangte, die steifen, khakifarbenen Baumwollhosen und Hemden anschließend faltenfrei zu bügeln. Da die kleine Familie in einem einzigen Raum lebte, wurde das Zimmer durch Wolldecken abgeteilt, damit die Kinder schlafen konnten, während meine Großmutter nachts herumwerkelte. Da die Amerikaner meine Großmutter für ihre Dienstleistung nicht mit Geld, sondern mit Schokolade, Zigaretten und Bohnenkaffee bezahlten, war sie auf den Tauschhandel und Schwarzmarkt angewiesen und bewegte sich somit in der Grauzone der Kriminalität. Der Schwarzhandel war offiziell verboten. Die staatlichen Stellen bemühten sich mit Hilfe von Polizeigewalt konsequent und unnachgiebig vorzugehen und mit harten Strafen durchzugreifen. Nicht alle Leute im Dorf waren einander und im Besonderen den Flüchtlingen zuge-neigt und somit zogen Tauschgeschäfte Neider auf den Plan. Es kam zur besagten Anschuldigung, der dreifach erstatteten Anzeige, die der Dorfpolizist Hummel so gerne fallen gelassen hätte, weil er ein Mensch war und es meiner Großmutter, die täglich ums Überleben kämpfte, nicht noch schwerer machen wollte.

Schweren Herzens bezahlte meine Großmutter die Strafe. Sie wusste, wer sie angezeigt hatte.

Beim 80. Geburtstag meiner Tante bekam auch ich die Bestätigung, nachdem sich mir ein Nachbar nach übermäßigem Alkoholkonsum mit den Worte anvertraute, er finde es nicht in Ordnung was damals mit meiner Oma und ihrer Denunziation im Dorf stattfand.

Wehret den Anfängen, ein Satz, heute aktueller denn je.